Stadtgestaltung – Ihr Brief vom 26.10.09
Sehr geehrter Herr Eckert,
danke für Ihren Brief vom 26.10.09.
Da ich beim Lesen Ihres Briefes den Eindruck hatte, dass Sie unseren Antrag zur Umbesetzung des Gestaltungsbeirats nur aus der Zeitung kennen, sende ich Ihnen diesen mit.
Zunächst zu zwei Punkten, bei denen wir mit Ihnen übereinstimmen:
Es kann auch nach unserer Ansicht nicht angehen, „allen Bauherren wo immer auch in Regensburg völlige Gestaltungsfreiheit à la Rebl“ zuzugestehen. Selbstverständlich hat die Stadt ein entscheidendes Wörtchen mitzureden, wenn es um Fassadengestaltung geht. Ist hierdurch der öffentliche Raum betroffen, kann diese keine rein private Angelegenheit sein.
Wir halten es allerdings für übertrieben, in diesem Zusammenhang von einer Kampagne zu sprechen. Die vielen Einzelmeinungen in den Leserbriefen zum Rebl-Haus, die zumindest teilweise in dieselbe Richtung gehen, bilden noch keine Kampagne. Dass die MZ diesen Briefen viel Platz eingeräumt hat, mag man kritisieren oder nicht, als gezielte Kampagne gegen die Stadtverwaltung kann man dies nach unserer Ansicht nicht werten, denn die Leserbriefe hätten sich prinzipiell auch mehrheitlich gegen das Rebl-Haus aussprechen können.
Auch die Begründung der ablehnenden Haltung des Rebl-Hauses durch den Gestaltungsbeirat können wir teilen. Den vom Gestaltungsbeirat zitierten kategorischen Imperativ von Kant würden wir noch durch die Worte des renommierten luxemburgischen Architekten und Architekturkritikers Léon Krier ergänzen: „Baut also in einer Weise, dass ihr selbst und jene, die euch lieb sind, zu jeder Zeit mit Freude eure Gebäude benutzen, in ihnen wohnen und arbeiten, eure Freizeit verbringen und in ihnen alt werden könnt.“
Etwas missverständlich erscheint uns Ihre Bemerkung, dass die Forderung nach einer Bürgerabstimmung zum Rebl-Haus aus der Mitte des Stadtrats kam. Es war nur ein Stadtrat, der diese Forderung aufstellte, nämlich der Fraktionsvorsitzende der CSU Christian Schlegl. Inwieweit seine Fraktion in dieser Frage hinter ihm steht, entzieht sich unserer Kenntnis.
Sie kritisieren unsere Forderung nach einer Umbesetzung des Gestaltungsbeirats und begründen Ihre Ablehnung damit, dass bei „Bauvorhaben mit Bedeutung für den Denkmalschutz […] immer schon Vertreter der Denkmalpflege an der Beratung beteiligt [sind], die auch Aspekte der Kunstgeschichte kompetent abzudecken imstande sind.“
Wir wissen natürlich auch, dass dies der Fall ist. Das ist aber nicht das Thema unseres Antrags. Es geht uns nicht um Bauvorhaben mit Bedeutung für den Denkmalschutz, sondern vielmehr darum, ästhetische Fragestellungen beim Städtebau und in der Architektur nicht ausschließlich Architekten zu überlassen. Kunsthistoriker oder Denkmalpfleger haben aufgrund ihrer Ausbildung und ihrer beruflichen Tätigkeit eine andere „ästhetische Sozialisation“ als Architekten, sie sehen die Gestaltung aus anderen Blickwinkeln, ebenso auch kunstinteressierte und architekturbewanderte Bürger, die z. B. aufgrund ihres Engagements im kulturellen Bereich auch ästhetisch geschult sind.
Sollte Ihnen nicht bekannt sein, dass sich auch in Architektenkreisen selbst laut und deutlich Stimmen gegen diejenigen Architekten erheben, die nur den Architektenstand für hinreichend befähigt halten, angemessen über die Ästhetik von Gebäuden zu urteilen?
Der Münchner Stadtplaner und Landschaftsarchitekt Dr. Hans –Joachim Schemel stellt in seinem Beitrag „Mehr Respekt vor Laien“ fest, „dass die Ansprüche der Laien [d.h. der Nicht-Architekten] und die Vorstellungen der Architekten hinsichtlich einer ansprechenden Gestalt der gebauten Umwelt weit auseinander liegen“. Es schreibt außerdem, dass „die Geschmacksfrage, […] eben nicht durch Wissens-vorsprung und Lehrmeinungen zu entscheiden ist. Aber diese Frage wird […] von vielen Architekten mit unreflektiertem Elitedenken so behandelt, als gehöre ihre Beantwortung zum Expertenwissen unserer Architektenzunft.“[1]
Dr. Volker Benedix, Präsident der Architektenkammer Sachsen fordert in seinem Vorwort des Deutschen Architektenblattes 02/08, dass man Respekt aufbringen müsse, „etwa für das Bedürfnis nach Heimat-, Geschichts- und Erinnerungszeichen in einer zunehmend rastlosen und ortlosen Welt – auch wenn deren Herstellung mit der eigenen Architekturhaltung nur schwer vereinbar ist.“[2] Der Bonner Raumplaner Stefan Willinger geht in seinem Beitrag “Vom Dogma zum Diskurs“ zunächst auf die Architektenausbildung ein und kritisiert, „dass die Architektur sich abschottet und die Nutzer ausschließt: Qualitätsurteile werden nur Angehörigen des eigenen Berufsstandes zugebilligt.“[3]
Im Übrigen nennt z.B. auch die Architektenkammer Nordrhein-Westfalen Denkmalpfleger, Heimatpfleger, Bürgerschaft, Künstler oder Umweltverbände als mögliche Mitglieder eines Gestaltungsbeirates (http://www.aknw.de/aktuell/index.htm?modus=aktuelles_detail&id=133).
Selbst im Regensburger Architekturkreis, deren Vorsitzender Sie sind, hört man des Öfteren nach Abschluss der Maßnahmen der Mitglieder aus dem Architekturkreis Kritik hinter vorgehaltener Hand, obwohl der Gestaltungsbeirat dem Stadtrat die Projekte als ausreichend in der Gestaltung empfohlen hat.
Zur Frage der Unabhängigkeit der Beratung: Es ist natürlich richtig, dass die wirtschaftliche Unabhängigkeit bei ortsansässigen Architekten nicht ausreichend sichergestellt wäre, deswegen sind wir auch dafür, dass der Gestaltungsbeirat mit auswärtigen Architekten besetzt wird. Doch wirtschaftliche Verflechtungen sind bei Kunsthistorikern und Denkmalpflegern aus Regensburg deswegen nicht zu befürchten, weil diese grundsätzlich nicht für Bauherren planen. Nun mag man argumentieren, dass innerhalb eines Ortes manchmal Abhängigkeiten auf subtilere Art und Weise bestehen können. Hier ließe sich einwenden, dass sich Abhängigkeiten auch bei auswärtigen Architekten nicht grundsätzlich ausschließen lassen. Zum einen gibt es Investoren, deren Bautätigkeit nicht auf eine Stadt beschränkt ist, zum anderen sind Architekten auch in Architektenkammern organisiert, die wiederum Vorschläge sowohl für die Besetzung von Gestaltungsbeiräten als auch Preisgerichten machen.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der Artikel des Architekturkritikers Gerhard Matzig in der Süddeutschen Zeitung vom Februar dieses Jahres. Er kritisiert die zunehmende Uniformität der Städte weltweit und stellt fest, dass „Bauen immer nur im lokalen Kontext mit viel Ortskenntnis zu wahrer Größe findet“[4].
Sie geben zu bedenken, dass die Gestaltungsbeiräte nicht selbst planen, sondern Bauherren und Architekten lediglich beraten. Etwas Gegenteiliges haben wir allerdings auch nicht behauptet. Wir sind im Übrigen der Meinung, dass der Stadtrat nicht automatisch einem Votum des Gestaltungsbeirats zu folgen habe. Wir kritisieren auch nicht die einzelnen Gestaltungsbeiräte selbst, sondern respektieren selbstverständlich mit Anerkennung deren Leistung für die Stadt Regensburg. Sie haben in der Tat in vielen Fällen zu einer Verbesserung der Architektur beigetragen. Trotzdem sind auch in vielen Fällen die Ergebnisse nicht nur aus unserer Sicht, sondern auch aus der vieler anderer Regensburger immer noch sehr unbefriedigend. Der Arbeitskreis Kultur Regensburger Bürger als auch Prof. Dr. Dittscheid vom kunsthistorischen Institut der Universität Regensburg z.B. teilen unsere Meinung und unterstützen unseren Antrag.
Nicht nur aus diesem Grund erscheint es uns als reichlich billig, wenn Sie die Begründung unseres Antrags als unsere rein persönliche Meinung abtun. Sie bleiben nämlich die Erklärung schuldig, wann eine Meinung aufhört, rein privater Natur zu sein und wann diese als objektiv in Sachen Ästhetik gelten kann. Oder sollte es sich so verhalten, dass Sie, wie Stefan Willinger es im Deutschen Architektenblatt kritisiert hat, Qualitätsurteile nur Angehörigen Ihres eigenen Berufsstandes zubilligen?
Es handelt sich im Kern um eine philosophische Frage: Ästhetische Urteile erfordern ein Nachdenken über die Bedingungen und Voraussetzungen unserer Urteile, also “warum und in welcher Hinsicht etwas schön ist. Sofern Geschmack reflexiv wird, lässt er sich durchaus begrifflich artikulieren und im Diskurs zur Diskussion stellen.“ Auch bei der Ästhetik von Gebäuden darf diese Art der Reflexion nicht nur den Architekten überlassen bleiben, vielmehr macht „gerade der Wechsel möglicher Blickpunkte das Lebenselement des ästhetischen Diskurses aus“.[5]
Aus diesem Grund möchte ich nochmals Hans-Joachim Schemel zu Wort kommen lassen, der in einer Mail an mich schrieb, „dass es durchaus unterschiedliche Vorstellungen über das Gelingen architektonischer Gestaltung geben kann. Dem müsse aber Rechnung getragen werden, indem nicht nur eine Sichtweise (der Architekten), sondern mehrere Sichtweisen zur Geltung kommen, wenn darüber geurteilt wird, ob ein konkretes Objekt eine Gestalt hat, die den aufgeschlossenen Betrachter anspricht und sich in das vorhandene Stadtbild einfügt (wobei durchaus eigene – zeitgenössische – Akzente gesetzt werden können). Es gibt auch ‚moderne’ Bauten, die ansprechend sind. Aber was ‚ansprechend’ ist, sollte nicht allein nach an Architekturlehrstühlen geprägten und eingeübten Geschmack bestimmt werden. Einen ‚guten Geschmack’ haben auch andere aufgeschlossene Menschen.“
Wir begrüßen ausdrücklich Ihre Absicht, das Thema „Stadtgestaltung in Regensburg“ zum Gegenstand eines öffentlichen Diskurses zu machen, insbesondere auch den Schwerpunkt „Entwicklung einer kollektiven Stadtgestalt und Stadtgestaltung in einer demokratisch verfassten Stadtgesellschaft“. Es wäre nach unserer Ansicht allerdings eine vertane Chance, wenn Sie unter einem “qualifizierten öffentlichen Diskurs“ nur Architektenmeinungen zu Wort kommen lassen wollten. Des Weiteren möchten wir Sie bitten, auch Architekturkritiker einzuladen, wie z.B. die Berliner Historikerin Annette Ahme[6].
Mit freundlichen Grüßen
Irmgard Freihoffer
Verteiler:
Herrn Oberbürgermeister Schaidinger
Frau Schimpfermann
Stadträte
Presse
[1] Deutsches Architektenblatt, 03/08, S. 15
[2] Deutsches Architektenblatt, 02/08, S. 3
[3] Deutsches Architektenblatt, 02/08, S. 12
[4] Süddeutsche Zeitung, 2.2.09
[5] Jörg Zimmermann, „Das Schöne“ in: E. Martens, H. Schnädelbach (Hrsg.), Philosophie, Hamburg, 1985, S. 361 und 365.
[6] Siehe Artikel, „Es herrscht Geschmacksdiktatur“, Deutsches Architektenblatt, 02/08, S. 14-17.