Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,
eine Sache vorweg: Ich halte es für wichtig und richtig, dass Sie bezüglich der Städtepartnerschaft mit Odessa sowie im Zusammenhang mit Hilfsleistungen von Regensburg aus für die leidende Bevölkerung in unserer Partnerstadt mit dem dortigen Oberbürgermeister, Gennadiy Trukhanov, zusammenarbeiten und dabei auch alle diplomatischen Gepflogenheiten, die gegenüber dem offiziellen Vertreter einer Großstadt eines anderen Landes geboten sind, einhalten.
1. In der Plenumssitzung des Stadtrats am 28.4.22 wurde der Oberbürgermeister unserer Partnerstadt per Liveübertragung zugeschaltet. Dies geschah sicherlich mit den besten Absichten und um dem Oberbürgermeister unsere Solidarität auszudrücken. Der abschließende Applaus, an dem ich mich aus guten Gründen nicht beteiligt habe, sollte das unterstreichen.
Möglicherweise ist Ihnen nicht oder nicht in diesem Umfang bekannt, wie tief der Oberbürgermeister von Odessa in die organisierte Kriminalität verstrickt ist und dabei möglicherweise auch an Gewaltverbrechen beteiligt war (siehe z. B. die Aussagen der stellvertretenden italienischen Polizeipräsidentin zur Mafia-Gruppe aus Odessa in dem im Anhang genannten BBC-Film von 2018). Auch wenn Herr Trukhanov bis jetzt nicht verurteilt worden ist, so gibt es doch eine erdrückende Fülle an belastenden Berichten und Dokumenten aus unterschiedlichen Quellen: Sowohl verschiedene ukrainische und internationale Medien als auch internationale Organisationen wie Organized Crime and Corruption Reporting Project und Transparency International schreiben ausführlich über Trukhanovs „Geschäfte“. Auch die Zusammenfassung eines Arbeitstreffens der italienischen Polizei zu einem Symposium über die ukrainische Mafia im Oktober 1998 ist erhellend.
Nähere Informationen hierzu in der Anlage.
Augenblicklich besteht keine Aussicht auf ein schnelles Ende des russischen Angriffskrieges. Deshalb ist es wichtig, unsere Partnerstadt am Schwarzen Meer weiterhin auf bestmögliche Art mit Hilfslieferungen zu unterstützen. Auf eine nochmalige Online-Zuschaltung des Oberbürgermeisters von Odessa im Stadtrat sollte meines Erachtens jedoch verzichtet werden. Um an notwendige Informationen für weitere Hilfeleistungen für unsere Partnerstadt zu kommen oder Solidarität gegenüber den Menschen in Odessa zu zeigen, bedarf es einer solchen Live-Übertragung nicht.
2. Korruption stellt ein äußerst schwerwiegendes Problem in der Ukraine dar. Siehe hierzu z. B. den Artikel vom 21.9.21 in der SZ zum Sonderbericht des Europäischen Rechnungshofes (ECA) zur Ukraine und der Rolle der EU:
„Seit über zwei Jahrzehnten versucht die EU, ihren ’strategischen Partner‘ Ukraine zu fördern: mit Zuschüssen, Krediten und immer neuen Berater- und Förderprogrammen. Doch noch immer teilen Oligarchen, hohe Staatsdiener und korrupte Staatsanwälte und Richter den Staat unter sich auf, verschwinden Milliarden ins Ausland, ist die Ukraine mit wenigen Ausnahmen beim Aufbau eines Rechtsstaates ebenso wenig vorangekommen wie beim Kampf gegen die Korruption, so der ECA-Bericht ‚Bekämpfung der Großkorruption in der Ukraine‘.“
(https://www.sueddeutsche.de/politik/ukraine-korruption-rechnungshof-1.5419576
Wie stellt man sicher, dass Hilfslieferungen für die Ukraine und unsere Partnerstadt tatsächlich den Betroffenen zugute kommen und nicht in dunklen Kanälen landen? Darauf wäre besonderes Augenmerk zu richten. Es wäre sehr bedauerlich, wenn die Hilfs- und Spendenbereitschaft der Menschen hierzulande ad adsurdum geführt würde.
Mit freundlichen Grüßen
Irmgard Freihoffer
Anlage
Weitere Informationen und Links zu Oberbürgermeister Trukhanov:
1. Ein investigatives Rechercheteam der BBC hat 2018 zur Mafiatätigkeit einer ukrainischen Mafia-Organisation mit Mitgliedern aus Odessa, die Ende der 90er Jahre von Italien aus agierte, umfangreiche Informationen zusammengetragen. Mittendrin: Gennadiy Trukhanov. Die kriminelle Vereinigung erwarb Geld aus Drogenhandel, illegalem Ölhandel und Waffenschmuggel – in einem anderen Artikel über diese Mafiabande ist auch von Schutzgelderpressung die Rede -, das sie in Scheinfirmen auf den Britischen Jungferninseln parkte. Zur Geldwäsche kauften diese Firmen schließlich Luxusimmobilien in London. Siehe hier: https://www.bbc.com/news/uk-43823962
Hier der zugehörige Film der BBC, der es – sarkastisch gesprochen – durchaus mit einem Samstagabend-Krimi aufnehmen kann: „Gangsters‘ Dirty Money Exposed“ https://www.youtube.com/watch?v=H2AKGJTWlnA
Wie man hier erfahren kann, hörte ein italienisches Ermittlerteam vier Jahre lang die Telefongespräche der Mafiosi ab. Die stellvertretende italienische Polizeipräsidentin berichtet in dem Film von Morden und einer beispiellosen Brutalität, mit der Mafiamitglieder ihre Opfer töteten („Ich schlug solange auf seinen Schädel ein, bis er zerbrach“, „er wollte nicht sterben, aber ich verpasste ihm viele Schläge“ etc.). Da die Verbrechen nicht auf italienischem Boden stattfanden, wurde keine Anklage erhoben.
Erwähnt wird Trukhanov in diesem Zusammenhang auch in den Paradise Papers.
Der Link zum Bericht zum Arbeitstreffen der italienischen Polizei zum Symposium über die ukrainische Mafia im Oktober 1998: https://www.occrp.org/images/stories/Exhibit_10_ItalianReport.pdf
2. Bis heute scheint Trukhanov seine kriminellen Machenschaften auch als Bürgermeister in Odessa weiter zu betreiben. So wird berichtet, wie er mit Bauaufträgen für seine Firmen oder Parkgebühren in die eigene Tasche wirtschaftet und das über Jahre hinweg. Im Zusammenhang mit den Panama Papers schreibt Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) am 27.5.2016 „Odesa mayor hides construction business offshore“:
„The records show that Trukhanov in fact controls a substantial business empire in Ukraine through companies registered in the British Virgin Islands (BVI), a notorious offshore jurisdiction often used in Ukraine by politicians and criminals. His interests include land plots, construction of offices and apartments, and road construction projects paid for from the state budget.
Overall, the database contains documents showing Trukhanov’s ownership in five BVI-registered firms.“
https://www.occrp.org/en/panamapapers/odesa-mayor-hides-construction-business-offshore/
Hier weitere Berichte von OCCRP vom 14.2.2018 https://www.occrp.org/en/daily/7643-ukraine-mayor-arrested-in-us-7m-embezzlement-probe und vom 24.4.2018 („London Apartments Show Ongoing Ties of Odesa Mayor to Oil Mafia“): https://www.occrp.org/en/paradisepapers/london-apartments-show-ongoing-ties-of-odesa-mayor-to-oil-mafia
Siehe z. B. auch hier vom 7.10.21: https://www.rferl.org/a/ukraine-odesa-mayor-corruption/31497418.html
Hier wird er bei Transparency International erwähnt: https://ti-ukraine.org/en/news/trukhanov-s-land-case/
und hier: https://ti-ukraine.org/en/news/hacc-chooses-interim-measure-for-trukhanov/
Wer die korrupten Geschäfte des Oberbürgermeisters anprangert, muss um sein Leben bangen. In diesem Bericht aus dem Jahr 2018 wird von 14 Mordanschlägen auf Oppositionelle in Odessa allein im zurückliegenden Jahr 2017 berichtet: https://uacrisis.org/en/68750-silence-kills?__cf_chl_tk=rl7kjGxgFDAZ5CQddkjpkkSoxgKmx.gJBy7VHrkFXoQ-1647710999-0-gaNycGzNCOU
„Leader of Odesa regional branch of the party “Syla Liudey” Ihor Bychkov sees the attempt on the life of his fellow colleague linked above all to being in opposition to mayor Trukhanov. ‚Oleh has been always saying that Trukhanov is chairing the criminal group that is robbing our city, while the National Police Head in Odesa region Dmytro Holovin and the regional prosecutor Oleh Zhuchenko are covering the Odesa authorities in their illegal actions,‘ Bychkov said. [… ] ‚Entire Ukraine knows that the construction business in Odesa is controlled by the organized criminal gang Galanternyk-Trukhanov.’”
Trukhanov sowie seinem Multimillionärscompagnon Galanternyk gehören nach Aussage dieses Artikels alle Baufirmen in der Millionenmetropole Odessa.
Siehe auch: https://www.regensburg-digital.de/stadtraetin-kritisiert-liveschalte-mit-ob-von-odessa-tief-in-organisierte-kriminalitaet-verstrickt/20052022/#comments