Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
in der Planungsausschusssitzung vor vier Tagen versprachen Sie, mir 100 € zu zahlen, wenn ich Ihnen auch nur ein einziges Beispiel nennen könnte, das einen Zuwachs von mindestens 100 Prozent an Fahrgastzahlen beim Ersatz einer Buslinie durch einen schienengebundenen Nahverkehr belegt.
Mit dem größten Vergnügen darf ich Ihnen nun den Nachweis liefern. In der angehängten Tabelle habe ich sechs Beispiele aufgeführt, die solch hohe Steigerungsraten bei den Fahrgastzahlen durch die Umstellung von Bus auf Stadtbahnen zeigen . Aber keine Angst: Natürlich bin ich nicht so unbescheiden, dass ich aus den sechs Beispielen die Forderung nach 600 € ableiten würde.
Die Gelegenheit möchte ich wahrnehmen, um ein paar Dinge in diesem Zusammenhang noch kurz zu umreißen.
1. Deutlich höhere Attraktivität und Akzeptanz des schienengebundenen Nahverkehrs
Zunächst einmal gilt festzustellen, dass eine Umstellung auf den schienengebundenen ÖPNV grundsätzlich sehr hohe Fahrgastzuwächse bringt, vorausgesetzt, dass dieser vernünftig geplant wird. Dazu gehören eine eigene Trasse sowie die Optimierung der Buslinien, die an die Stadtbahn andocken.
Interessant sind auch die Erhebungen, die der Verband der deutschen Verkehrsunternehmen (VDV) durchgeführt hat:
„Elektrischer Schienenverkehr im Taktfahrplan ist besonders gut geeignet, Nachfrage zugunsten des ÖPNV zu binden. Während in Straßenbahnen bei Befragungen meist zwischen 30 und über 50% aller Fahrgäste Wahlfreie sind, sind es in Bussen bundesweit nur 5%, in Gro߬städten um die 15%. Straßenbahnen tragen also dazu bei, Autofahrten zu vermeiden; der VDV zitiert Erhebungen, die beim Übergang von Bus- zu Straßenbahnverkehr Nachfrage¬zuwächse von im Schnitt 83% nachweisen und konstatiert bei der Verkehrsmittelwahl „emotionale Faktoren“, was als Phänomen unter dem Begriff „Schienenbonus“ zusammengefasst wird.“ (Quelle: http://www.darumnicht.ohnestrassenbahn.de/. Siehe auch http://www.claudia-haemmerling.de/2007/vortrag_naumann.pdf, S. 9)
Der „Schienenbonus“ beruht auf folgenden Faktoren:
Die modernen Stadtbahnen / Straßenbahnen fahren extrem ruhig und leise, während der Bus seine Fahrgäste bisweilen ziemlich durchrüttelt, weil er jede Unebenheit in der Straße sofort weitergibt. Der höhere Fahrkomfort ermöglicht größere Handlungsmöglichkeiten während der Fahrt sowie eine einprägsamere und als verlässlicher empfundene Streckenführung. Während die Linienführung der Straßenbahn als sichtbares System erkennbar ist, sind Bushaltestellen nur punktuell, nicht linienförmig zu erfassen.
Es gibt auch noch andere Gründe für die geringere Barrierewirkung für den Umstieg vom Auto auf eine Stadtbahn, u. a. die sanfte Separierung durch Straßenbahntrassen, d. h. dass keine Trennwirkung für Fußgänger wie bei Straßen entsteht. Des Weiteren ist auch der niveaugleiche Einstieg ein großer Vorteil. Es mag aber vielleicht auch nicht immer ganz rational erklärbar sein, warum ein schienengebundener Nahverkehr in der Regel so viel besser angenommen wird als ein Bus („emotionale Faktoren“; siehe Zitat oben).
2. Externe Kosten des Verkehrs
Hierbei handelt es sich um unkompensierte Nachteile, die Dritten durch wirtschaftliche Aktivität entstehen. Darunter zählen Flächenverbrauch, Luftverschmutzung Lärmbelastung externe Unfallkosten, Trennwirkung durch Straßen, Natur und Landschaft, Klimawandel, vor- und nachgelagerte Prozesse. Siehe hierzu die Powerpointpräsentation von Regine Gerike, (TU München) http://www.unibw.de/ivr/aktuelles/ekv, S. 11. Diese Kosten werden von Menschen, die unter Umständen selbst nie Auto fahren, von der Gesellschaft als Ganzes, anderen Regionen und künftigen Generationen getragen. Interessant ist z. B., wie viele zusätzliche Kosten die Luftverschmutzung verursacht, z. B. durch Gebäudeschäden oder gesundheitliche Beeinträchtigungen, für die Krankenkassen aufkommen müssen. Auf S. 15 der Powerpointpräsentation findet man einen guten Überblick.
Die externen Kostendes Verkehrs in Deutschland belaufen sich 2005 laut einer Analyse des Zürcher Forschungsinstituts Infras auf 80,4 Milliarden €. 96 Prozent dieser Kosten fallen auf den Straßenverkehr. Mindestens 40 Prozent der externen Kosten sind reine Umweltfolgeschäden, zu denen die Schäden durch Luftverschmutzung und Lärm, Klimafolgeschäden sowie Schäden an Natur und Landschaft zählen. (Siehe http://www.bpb.de/gesellschaft/umwelt/dossier-umwelt/61374/externe-kosten).
Eine neuere Studie der Technischen Universität Dresden vom Oktober 2012 kommt auf 88 Milliarden. Siehe http://www.zeit.de/auto/2013-02/autofahren-kosten-studie.
Die Kritik, die von verschiedenen Seiten wie z. B. dem ADAC in der Vergangenheit immer wieder geäußert wurde, dass Autofahrer mit über 50 Milliarden € Steuern weit mehr zahlen, als für die Straßeninfrastruktur ausgegeben wird, ignoriert diese externen Kosten komplett.
Bei den Wirtschaftlichkeitsberechnungen für den ÖPNV sind diese negativen externen Kosten nur wenig berücksichtigt und so auch nicht bei den Wirtschaftlichkeitsberechnungen für die Stadtbahn in dem kürzlich vorgestellten Verkehrsentwicklungsplan. Um nicht falsch verstanden zu werden: Es geht natürlich keineswegs darum, alle Buslinien in Regensburg durch eine Stadtbahn zu ersetzen, sondern um eine Nord-Süd-Verbindung zur Universität und eine Ost-West-Verbindung. Dass Neutraubling noch nicht über einen Schienenpersonennahverkehr angebunden ist und dass, obwohl es bereits ein funktionstüchtiges Industriegleis gibt, das kaum benutzt wird, man auf der anderen Seite aber einen sechsspurigen Ausbau der Autobahn favorisiert, ist meines Erachtens ein schlechter Witz. Bevor man Straßen ausbaut, sollte man erst einmal den ÖPNV auf ein Niveau bringen, das den Umwelt- und Klimaschutzzielen gerecht wird. Den Vorrang des ÖPNV vor dem Ausbau von Straßen fordert im Übrigen auch der Regensburg-Plan 2005.
Mit freundlichen Grüßen
Irmgard Freihoffer
Stadträtin
Anlage: Sechs Beispiele für die Steigerung von Fahrgastzahlen durch Umstellung von Bus auf schienengebundenen Nahverkehr:
Steigerung der Fahrgastzahlen durch Stadtbahnen